„39 Grad, das geht ja noch“ hoere ich jetzt so einige sagen. Klar, geht das. Vorallem fuer Menschen, die in den Genuess von Klimaanlagen kommen. Fuer alle anderen ist es trotzdem eine starke Belastung.
Ich jedenfalls bin nicht so „wetterfest“ und habe das Gefuehl permanent in einem Ofen zu leben. Zu Hause und in oeffentlichen Gebaeuden dagegen weht ein kalter Wind, der auf Dauer auch nicht angenehm ist und bei mir zum Beispiel Knochenschmerzen und staendige Muedigkeit verursacht.
Bei 39 Grad moechte man sich vor allem ausruhen und meine Perserkatzen demonstrieren, worauf es zur Zeit ankommt: sie interessieren sich nur noch fuer Schlafen und Fressen. Und eigentlich ist es bei mir auch nicht viel anders.
Doch die meisten Menschen in Shanghai koennen ihrem Unwohlsein nicht so einfach nachgeben und muessen trotzdem arbeiten. Hitzefrei gibt es bei uns nicht.
Und obwohl meine Haushaelterin sich taeglich viel Muehe mit dem Essen macht, nehmen wir ab. Ich zum Beispiel sinke so allmaehlich mit meinem Gewicht unter die magische 50 kg Marke, was bei meiner Groesse dann schon als Untergewicht bezeichnet wird. Aber meiner Haushaelterinn geht es auch nicht anders und fast alle Menschen, die ich kenne, werden deutlich schlanker. Gutes Essen hilft da auch nicht.
Die allgemeine Stimmung ist zwar freundlich, aber bedrueckt. Eine Ahnung von Endzeit scheint die Menschen zu ergreifen, wenn sie laengere Zeit so extremen Temperaturen ausgesetzt sind. Dabei gibt es Gegenden, wo es noch viel extremer ist. Wir in Shanghai koennen ja noch von Glueck sprechen, denn wir leben am Meer, das solche Extreme doch etwas ausgleicht.
Nachtrag: es ist halb zwoelf Uhr vormittags und nun hat es bereits 40 Grad im Schatten…..
Den meisten Menschen merkt man an, dass sie von Adam und Eva abstammen, die ja bekanntlich aus dem Paradies vertrieben worden sind. Aber es gibt auch Ausnahmen, wie zum Beispiel diesen hier:
Frau wegen Affäre in Afghanistan hingerichtet
KABUL: Die radikal-islamischen Taliban haben im Westen Afghanistans eine schwangere Frau hingerichtet. Der Vize-Polizeichef der Provinz Badghis, Dschabar Saleh, sagte, ein Taliban-Gericht habe die 40-Jährige Witwe für schuldig befunden, durch eine “unerlaubte Affäre” schwanger geworden zu sein. Sie sei vor der Hinrichtung mit 200 Hieben ausgepeitscht und danach mit drei Schüssen in den Kopf getötet worden. Ein Taliban-Kommandeur in dem entlegenen Distrikt Kadis habe das Todesurteil gefällt und die Frau persönlich öffentlich hingerichtet.
Naturkatastrophen sind mehr oder weniger “natuerliche” Katastrophen, aber hier handelt es sich um eine menschliche Tragoedie und um menschliches Totalversagen.
Man stelle sich vor: eine Witwe, entweder kinderlos oder bereits Mutter mehrerer Kinder, verliebt sich kurz vor dem Ende ihrer fruchtbaren Zeit noch einmal – aber vielleicht hat sie sich auch gar nicht verliebt, sondern wurde von einem Mann genoetigt bzw. vergewaltigt? – nun gut, wie dem auch sei, sie wird jedenfalls schwanger und dann d e s w e g e n samt ihrem zukuenftigen Baby ermordet. Nein: hingerichtet und davor auch noch mit zweihundert Peitschenschlaegen koerperlich und seelisch schwer verletzt. Der Kommandeur hat das Recht, eine schwangere Frau kaput zu schlagen und zu ermorden! Und er nimmt sich dieses Recht, ohne zu merken, was er da fuer ein furchtbares Verbrechen begeht.
Ob die Sonne nun Loecher ins Gehirn brennt oder nicht…ist wahrscheinlich individuell zu klaeren.
Volvo gehoert ab jetzt den Chinesen und auch Ford wird wahrscheinlich immer chinesischer – aber das sage ich hier nur so, denn mir ist das eigentlich egal.
Das hat ja auch mit der Sonne weniger zu tun als mit den wirtschaftlichen Beziehungen. Und Mischehen sind ja nicht nur in der Wirtschaft recht beliebt…
Meine dicke Katze miaut, denn sie will auf meinen Schoss und gestreichelt werden. Auch das ist mir gerade ziemlich egal, denn was mich gerade beschaeftigt sind so wesentliche Dinge wie: leere Gehirne, Nichts-Erfahrung und unendliches Bewusstsein…Die Gitarre liegt waehrenddessen auf dem Sofa und schlaeft….
Und meine deutschen Freunde aus dem Internet schlafen auch, denn dort ist es noch frueh am Morgen. Hier aber brennt die Sonne Loecher ins Ozonloch und die Klimaanlagen druecken dagegen. Je hoeher die Temperaturen, desto wilder brummen die Klimaanlagen und desto hoeher werden die Aussentemperaturen in den kommenden Jahren ansteigen. Ein Teufelskreis. Aber wer will schon bei 35 bis 40 Grad Hitze ohne Klimaanlage dahinvegetieren? Ich jedenfalls schalte da nur ungern ab. Darum zwingt uns manchmal der Stromausfall zum Abschalten. Aber das passiert vor allem in den armen Vierteln. Hier in unserem Luxus Viertel wird Strom und Wasser verbraucht, als gaebe es zuviel davon. Dabei leben hier Menschen, die sich fuer verantwortungsbewusst und umweltbewusst halten. Moderne Egoisten mit modernen Abwehrmechanismen.
Was gibt es sonst noch zu sagen? Eigentlich sowieso nur wenig, deswegen schreibe ich noch mehr. Mein neues Spamfilter ist seit gestern offensichtlich aktiv, denn nun kriege ich keine Spam-Kommentare mehr. Die Zeit, die ich bisher immer zum Loeschen der Spamkommentare verwendet habe, kann ich nun dazu benutzen, hier meiner Seele freien Lauf zu lassen. Ein gurgelndes Gefuehl voller sensuitiver Diskrepanz. Eigentlich sollten sich alle Menschen einen Blog zulegen, wo sie sich dann regelmaessig den Schleim vom Herzen schmieren koennen.
Zum Abschluss noch ein paar Fakten zu meiner aktiven Spassbilanz: dieses Wochenende – obwohl: heute ist ja schon Dienstag, aber egal…habe ich: einmal Badminton gespielt, einmal Ballett trainiert, einmal klassischen, chinesischen Tanz gelernt, einmal geschwommen und ansonsten den groessten Teil meiner kostbaren Zeit – und meine Zeit ist kostbar, egal was Ihr denkt – am Computer verbracht, wo ich mit Gitarre, Keyboard und Logic Audio herumexperimentiert habe. Das konnte ich machen, weil wir zur Zeit Sommerferien haben. Trotzdem habe ich aber auch noch meine chinesischen Schueler unterrichtet, was ich aber nicht als reine Spass Aktivitaet bezeichnen wuerde. Oder soll ich jetzt zugeben, dass mir sogar meine Arbeit Vergnuegen bereitet?
Die Tage werden schon wieder kuerzer, was man hier in Shanghai, wo die Tage sowieso immer relativ kurz sind, natuerlich besonders merkt.
Heute gab es auch noch Stromausfall in einem Teil der Stadt XinQiao und zwar genau dort und dann wo und als ich abends um acht in der Dunkelheit – ich schleiche mich immer bei Dunkelheit durch die Strassen – einkaufen wollte. Ging aber nicht, denn die Verkaeufer konnten weder ihre Waren sehen, noch das Geld. Stattdessen war Volksauflauf in dem (fast) einzigen Geschaeft, das keinen Stromausfall hatte. Dort draengten sich die Massen, um bei der Hitze die Klimaanlage zu geniessen. Ganz Xin Qiao schien sich auf die Strasse und in das Geschaeft zu fluechten, denn bei Stromausfall gibt es weder Klimaanlage noch Licht und da werden die kleinen Wohnungen im Sommer unertraeglich. Nachts kuehlt es hoechstens bis etwa 28 oder 30 Grad ab. Draussen. In den Wohnungen bleibt es extrem stickig und heiss.
Dieser Sommer haelt sich mit seinen Katastrophen so halbwegs im Zaum (Nachtrag,9.8.2010: nein, das kann man inzwischen so nicht mehr behaupten..entschuldigung). Bei uns gab es erst einen Hitzetoten in XinQiao – zumindest nur einen, von dem ich weiss. Er war der Nachbar meiner Haushaelterin. Die Fabrik , in der er arbeitete, hatte sehr mit der Klimaanlage gespart, was dann zum Hitzetot dieses jungen Mannes gefuehrt hat.
Themawechsel: die XinQiaoer Regierung hat mir ein Ticket fuer die Expo mit U-Bahn Fahrkarte und Bodyindex Messgeraet geschenkt. Damit behandelt sie mich genauso wie jeden Shanghaier Buerger, was mich sehr ehrt. Es wird dazu fuehren, dass ich bald mal wieder die Expo besuchen werde – bei der Hitze kein reines Vergnuegen..-..und es hat dazu gefuehrt, dass ich meinen Bodyindex messen kann. Der ist zur Zeit 17.89, was heutzutage etwas unter dem Normalgewicht zu sein scheint . Vor zehn Jahren haette ich damit aber zumindest in China noch der Norm entsprochen. Und das liegt natuerlich auch an dieser sommerlichen Ernaehrung, die zur Zeit vor allem aus Melonen und Pfirsichen besteht…..
Was gibt es sonst noch ueber diesen Sommer zu sagen? Ach ja, wir werden Besuch aus Amerika bekommen! Die Expo…..
Selbstbespiegelung war ja schon immer meine Sache und so frage ich mich heute: wie viel Geschwindigkeit brauche ich wirklich?
Ist Langsamkeit messbar und wenn ja: ist das nun eine Tugend oder ein Laster?
Beim Gitarre spielen gilt: langsam ueben kann sehr effektiv sein und manchmal ist es sogar schwerer langsam zu spielen als schnell. Andererseits bewundern wir alle Menschen, die in atemberaubender Geschwindigkeit ueber die Saiten huschen…
Und ich bewundere mich nicht fuer meine Langsamkeit. Im Gegenteil.
Was also tun, um diesen Hang zur Zeitlupen – Aktivitaet konstruktiv zu nutzen?
Manchmal denke ich, es waere vielleicht sinnvoll ersteinmal festzustellen, wie viel Koffer pro Tag ueberhaupt ausgepackt werden muessen (um bei einer relativ einfachen Taetigkeit zu bleiben). In meinem persoenlichen Fall handelt es sich nur um einen Koffer, der pro Jahr je nach Reiselust etwa zwei bis fuenfmal gepackt beziehungsweise ausgepackt werden muss. Ein Jahr hat etwa 365 Tage. Geteilt durch fuenf ergibt 73. So kann ich mir theoretisch etwa 73 Tage Zeit lassen um meinen Koffer jeweils zu packen bezw. auszupacken – vorausgesetzt ich werde nicht oefter als fuenfmal pro Jahr verreisen. So gesehen liege ich ja durchaus noch im Rahmen - mit meinen gerademal 3-4 Tagen….Vielleicht bin ich sogar zu schnell? Wie gesagt, zu schnell sein ist auch nicht gut. Zu schnell sein bedeutet oft, wesentliche Dinge zu uebersehen und ausserdem passieren bei schnellen Bewegungen auch leichter Unfaelle , wie jeder weiss. Beim Koffer auspacken in hoher Geschwindigkeit koennen zum Beispiel die Fingernaegel abbrechen…..also doch lieber noch ein bischen langsamer. Irgendwie schaut so ein halb ausgepackter Koffer im Zimmer ja auch aesthetisch recht ansprechend aus.
Es war einmal eine elektronische Zahnbuerste. Und die war schoen. Sie lebte in Deutschland in der Schwabstrasse und dort in einem Geschaeft fuer elektronische Geraete. Doch es kam ein Tag, der ihr bisher eher tatenloses Dasein komplett veraendern sollte. Sie wurde gekauft. Und zwar fuer satte 170 deutsche D-Mark. Damals lebte man noch in Zeiten der D-Mark..
Zuerst wurde sie nur selten benutzt, denn ihre neue Besitzerin fuerchtete sich anfangs vor dem Laerm in ihrem bisher nur handgeputzten Mund. „Du klingst ja schon fast wie beim Zahnarzt“ schimpfte die Kaeuferin die elektronische Zahnbuerste, die sich deswegen sehr schaemte und sich am liebsten entschuldigt haette.
Und dann wurde eines Tages die Zahnbuerste in einen dunklen Koffer gepackt und zum Flughafen gebracht. „oje, jetzt will sie mich nicht mehr“ die Zahnbuerste war ziemlich verzweifelt. Doch nach nur wenigen Stunden fand sie sich von ihrer Besitzerin liebevoll ausgepackt in einem grossen Badezimmer wieder. „Du bist jetzt in Shanghai“ sagte die Besitzerin. „Hier wohne ich normalerweise, wenn ich nicht gerade verreise…“
Und ab diesem Moment tat die elektronische Zahnbuerste mehrmals taeglich ihren Dienst und die Besitzerin beschwerte sich nie mehr wieder ueber den Laerm in ihrem Mund, den die Zahnbuerste verursachte.
Die Zahnbuerste wurde aelter und aelter und aelter…..Oftmals war schon das Mundstueck ausgewechselt worden, doch die Zahnbuerste putzte weiterhin mehrmals taeglich mit unverminderter Energie. Doch immer oefter musste der Akku geladen werden und schliesslich konnte die Zahnbuerste nur noch mit frisch geladenem Akku volle Leistung bringen. „ach, das macht doch nichts. Solange Du nicht aufgibst, werde ich Dich gerne weiterbenutzen..“ troestete die inzwischen auch nicht mehr so junge Besitzerin. Was hatten sie und die Zahnbuerste schon gemeinsam erlebt! Jahre gefuellt mit Hoffnung und Schmerz gemeinsam verbracht! Und die Zahnbuerste hatte wirklich gut gearbeitet, denn seit die elektronische Zahnbuerste die Zaehne der Besitzerin reinigte, hatte der Zahnarzt kaum noch was zu tun. Wie angenehm!
Doch auch eine erfolgreiche elektronische Zahnbuerste muss irgendwannmal sterben und so passierte es eines Tages, dass die Zahnbuerste nachdem sie zum letzten Mal ihren Dienst mit frischgeladenem Akku und voller Energie getan hatte, den Weg aller irdischen Lebewesen ging und mit unverminderter Kraft weiterarbeitete. Die Besitzerin versuchte verzweifelt den Motor der Zahnbuerste zu stoppen, doch die Zahnbuerste lies sich nicht mehr stoppen und lief zum letzten Mal. Sie lief und lief unvermindert und lautstark mit voller Energie…..die Besitzerin packte schliesslich die rasende Zahnbuerste in den Kleiderschrank. Es war bereits halb zwei Uhr nachts und das Geraeusch der elektronischen Zahnbuerste drang durch die Tuer des Kleiderschranks wie Totengesang. Es war der Todeskampf der elektronischen Zahnbuerste und niemand konnte ihn stoppen. Als es endlich still war, oeffnete die Besitzerin die Tuer. Sie nahm die Zahnbuerste in die Hand und wollte sie vorsichtig zurueck in den Staender stellen, doch da zuckte es wieder auf und die Zahnbuerste begann erneut zu surren. Diesmal langsamer und sehr erschoepft…man gibt eben nicht freiwillig auf…
Nachdem die Magnetbahn zum Flughafen Pudong schon einige Jahre problemlos Passagiere transportiert, ist nun eine Schnelltrasse von Shanghai nach Hangzhou im Bau. Und diese auf hohen Stelzen durchs Land rasende Bahn wird direkt an unserem Wohnviertel vorbeifuehren.
Natuerlich durften wir nicht abstimmen, ob wir mit dieser Trasse einverstanden sind und ich habe sowieso erst gemerkt was passiert, als bereits die Kraene da waren und ich ploetzlich am Horizont einen Betonstreifen sah.
So fahren bei uns immer mehr Strassen und Bahnen durch die Luft, denn auf der Erde ist bereits alles vollgebaut. Unter der Hochtrasse fuer den Schnellzug, faehrt (auf der Erde) die normale Eisenbahn. Und auch unsere Strasse ist seit einiger Zeit zweistockig. Und an der Stelle, wo sich dann alles kreuzt, siehts so aus:
Vor elf Jahren habe ich in Xinzhuang gelebt. Das war damals noch weit ausserhalb von Shanghai und sehr laendlich. Heute ist es ein Stadt Teil Zentrum und die ehemaligen kleinen Strassen sind teilweise doppelstockig und 16 spurig. Deswegen sind wir vor fuenf Jahren noch weiter nach draussen gezogen und leben jetzt im Songjiang Bezirk bei Xin Qiao. Das ist immerhin etwa 40 Kilometer von dem beruehmten People Square in Shanghai entfernt! Der People Square ist sozusagen das Zentrum von Shanghai. Als wir vor fuenf Jahren nach Xin Qiao kamen, war es noch sehr, sehr laendlich hier und die Strassen waren relativ schmal. Doch inzwischen ist auch hier die Stadt angekommen und die Strasse vor unserem Wohnviertel ist inzwischen mit einem zweiten Stockwerk ausgestattet und soll sogar noch mal erweitert werden.
Es wird schon frueh dunkel hier. Auch im Sommer. Dafuer wird es auch besonders frueh hell, aber das passt gerade nicht zum Thema. Also noch mal von vorne:
Es wird schon frueh dunkel hier. Auch im Sommer. Meine Abendspaziergaenge finden also bei Dunkelheit statt. Auch wenn es Sommer und erst sieben Uhr ist.
: 19 Uhr.
Mein Herz liebt die Nacht. Die richtige Nacht, nicht aber diese fruehzeitige Dunkelheit, die den Laerm nicht zu stoppen vermag. Das hier ist nicht Nacht, sondern eher so eine Art taegliche Sonnenfinsternis. Die Stadt ist noch voll aktiv, doch die Lichter brennen.
Und was fuer Lichter! Als ob man sich fuer diese fruehe Dunkelheit entschuldigen wolle, laesst man Bruecken und Gebaeude in allen Neonfarben leuchten. Rot, Blau, Tuerkis, Gruen Gelb, Orange, Violett und sogar Lila wechseln sich rythmisch ab und veredeln die zu frueh gekommene Nacht. Ob die Nacht das wohl mag? Jedenfalls macht sie mit und akzeptiert das Getoese. Jede Gross-Stadt braucht schliesslich ein Nachtleben. In Shanghai beginnt dieses Leben schon um 19 Uhr und so gleitet der Tag direkt in die Nacht, ueberspringt den Abend, der hoechstens mal Sekundenweise freundlich hineinschaut.
Das Handy klingelt. Ich stehe zwar voll bepackt mit Rucksack und zwei schweren Tueten in der U-Bahn, aber es gelingt mir trotzdem irgendwie mein Handy zu bedienen. „Julia, es ist Essen zu Hause!“ verkuendet mir die Stimme meines Mannes am anderen Ende der Leitung. Toll, einmal Fastfood weniger und stattdessen noch zwei Stunden hungrig unterrichten bis ich dann irgendwannmal gegen zehn Uhr abends zu Hause das Essen geniessen kann.
Kaum zu Hause angekommen stuerme ich extrem hungrig die Kueche und sehe einen Karton auf der Spuele stehen. Und das also soll mein Essen sein: dicke, rote mit Sichuan Pfeffer gebratene Skorpione. Im Kuehlschrank entdecke ich dann noch einen zweiten Karton voll mit diesen Viechern, die trotz ihres gebraten-seins ausschauen als ob sie gerade vom Strand in die Kueche gelaufen waeren. Alles ist dran, wie bei den lebendigen Tieren auch. Nun, von den fast 50 Skorpionen, esse ich etwa drei, dann vergeht mir der Appetitt, weil das Fleisch teilweise schon ein bischen weich und schwaerzlich ist. Wer weiss, woher das kommt. Vielleicht weil das Meer bei uns ja auch ganz schoen schwarz ist? Oder weil bereits der Verwesungsprozess eingesetzt hat? Diese Skorpione sind ja eigentlich eine Delikatesse und auch optisch schoen anzuschauen: wie Riesenheuschrecken…..aber mir schmecken Krebse besser….
Soweit ist die Expo gar nicht weg – mit den neuen U-Bahn Linien brauche ich nur 50 Minuten von meiner Haustuer bis zum Eingang Nummer 3 auf der westlichen Seite. Richtig interessant ist es aber auf dem oestlichen Teil der Expo. Um dorthin zu gelangen muss man erst noch mit einer Faehre den Huangpu Fluss ueberqueren. Und dann ist man wirklich mittendrin und kann sich all die Pavillione anschauen….
(hier ein Blick auf den deutschen Pavillion)
Ich habe zuerst einmal einen „Pflichtspaziergang“ zum Luxemburger Pavillion gemacht, um fuer Joel diese goldene Statue zu fotografieren. Leider war die Schlange vor diesem Pavillion so lang, dass ich darauf verzichtet habe, ihn (den Pavillion) mir auch von innen anzuschauen.
Stattdessen bin ich mit dem Expo Bus zum israelischen Pavillion gefahren und habe dort fast eine Stunde lang Schlange gestanden, um mir dann innen einen kleinen Film anzuschauen..
Allein diese beiden Aktionen haben mich so ermuedet, dass ich mich dann erstmal mit meiner Freundin in einem Nudelrestaurant erholen musste. Nun, umsonst ist das Essen auf der Expo natuerlich nicht und fuer so eine ganz normale Rindfleisch Nudelsuppe, die in Shanghai etwa 8 bis 15 RMB kostet, haben wir satte 45 RMB gezahlt, was uns aber in diesem Augenblick egal war. Wir wollten einfach nur noch sitzen und essen….
Gut erholt haben wir uns dann den Themen Pavillion angeschaut. Wir haben nur den Teil ueber „Leben in der Stadt“ durchwandert, weil dieser Teil dermassen interessant, instruktiv und Phantasie anregend gestaltet war, dass wir ganz langsam gegangen sind. Auch aestetisch kamen wir hier auf unsere Kosten. Dieser Pavillion ist wirklich gut gemacht!
Mein erster Expo Spaziergang sollte mir vor allem einen groben Eindruck verschaffen. Ich brauche immer erstmal einen Ueberblick, um dann ins Detail gehen zu koennen. Insgesamt finde ich die Expo sehr gross und grosszuegig gestaltet, ein Riesengelaende voll mit Pavillions. Mir selber waeren mehr Parkanlagen dazwischen noch lieber gewesen, aber bei den vielen Menschen wuerde eine Wiese wahrscheinlich schnell kaputt getrampelt sein. Schoen sind die schattigen Baenke unter den Bruecken, die auch immer voll besetzt sind.
Hier noch ein Bild vom chinesischen Pavillion.
Nachts ist die Expo besonders empfehlenswert…..
Es gibt seit Neuestem viele U – Bahnen in Shanghai. Besonders bemerkenswert finde ich daran die langen unterirdischen Wege, die man zuruecklegen muss, will man von einer Linie in die andere wechseln. Vorallem, wenn man weiss, was darueber steht und dass diese Gaenge erst nachtraeglich gegraben wurden, kann einem schon etwas mulmig zumute werden. Beispiel Xu Jia Hui. Unter den gigantischen Buerotuermen und Shopping Centern wurde die U – Bahnhaltestelle der U9 neu erschaffen und gleichzeitig eine lange, breite Passage zur U1, der aeltesten U-Bahn Shanghais. Man laeuft da bei gutem Tempo etwa fuenf Minuten tief unter den Hochhaeusern in neugegrabenen Raeumen.
Entsprechend sind die Decken an einigen Stellen etwas niedrig und die Akkustik eigentuemlich. Nur die Schritte der Passanten schmatzen ueber den Boden. Wer spricht, wird gehoert, aber es sprechen nicht viele, wenn sie diesen Weg unter der Erde waehlen. Man geht stumm und schnell. Einkaufstaschen an Haenden oder den Leptop in der Umhaenge Tasche, jeder versucht so schnell wie moeglich diesen Weg zurueckzulegen. So waelzt sich die Masse der Menschen mit zielstrebigen Beinen ueber die trotz Neonlicht nicht richtig hell wirkende Piste, kaum den Nachbarn als solchen erkennend . Ich mache das diesmal anders. Atme die noch immer nach Bauschutt riechende Luft und fuehle wie sie von den Menschen bewegt wird. Sind die hier Laufenden alle Noten einer nur mir vertrauten Partitur?
Anmerkung: die Fotos sind mit meinem Handy gemacht, da mein Mann den Fotoapparat mit auf Dienstreise genommen hat.
Ich brauch jetzt mal nen “kreativen kick” - so doof das klingt und muss mal wieder ein bischen 100% Bloedsinn machen, weiss aber noch nicht genau welcher Art. Kennt Ihr eigentlich auch dieses Beduerfniss nach komplettem Unsinn? Es ist bei mir sehr stark vorhanden und macht mich ganz unruhig. Ich m u s s meine Zeit verschwenden, um herauszufinden, welche Art von Unsinn jetzt am besten zu mir passt. Deswegen habe ich fast kein schlechtes Gewissen, wenn ich mich staendig ablenken lasse.
Wisst Ihr was fuer komische Luft ich einatme? Schwer und feucht. Wir haben Regensaison. Warmes Wetter mit viel Regen laesst die Pflanzen explosionsartig wachsen. Die Natur ist in dieser Saison eindeutig staerker als alle menschlichen Kultivierungsbemuehungen! Sogar die Strassen beginnen aufzubrechen, weil sich die Natur bewegen will. Das ist Shanghai.: 20 Millionen Menschen mit Regensaison und eindeutig vorhandener Natur. Ganz zerstoert kann die hier nie werden…
fairer Weise sei gesagt, dass dieses Foto nicht direkt in Shanghai gemacht wurde….
Obwohl mein reales Leben alles andere als eintoenig ist, muss ich doch zu meinem eigenen Erstaunen feststellen, dass ich mir in den letzten Jahren mehr und mehr ein zweites, virtuelles Leben erschaffen habe und dass dieses virtuelle Leben einen grossen Teil meiner real zur Verfuegung stehenden Zeit beansprucht.
Zeit ist immer real und kann virtuell nicht verlaengert werden. Das heisst: die Stunden, die ich im Internet verbringe, „fehlen“ mir spaeter im realen Leben. So wird mein reales Leben ganz konkret durch mein virtuelles Leben verkuerzt.
Fuer Menschen ohne virtuelles Leben, scheint diese Tatsache beaengstigend. Fuer Menschen, die im Internet leben, weniger. Ist doch fuer uns Internet-Menschen das virtuelle Leben inzwischen auch zur Realitaet geworden.
Ist es ueberhaupt noch sinnvoll zwischen virtuellem und realem Leben zu unterscheiden? Ist nicht beides ein Leben, naemlich meines?
Im Internet schreibe ich nicht nur Blog und zeige Gitarrenvideos, die ich „real“ gemacht habe, sondern diskutiere auch in Foren mit anderen Menschen ueber Themen, die mich interessieren. Lerne zum Beispiel auf Xing reale Menschen kennen, die ich dann im konkreten Leben treffen kann. Oder ich diskutiere auf Kaixinwang mit meinen realen Freunden ueber unseren realen Ballettunterricht und vieles mehr. Oft verschwimmt so die Grenze zwischen real und virtuell.
Ich bin im Internet dieselbe Person, die ich auch in Realitaet bin. Klar, ich weiss, nicht jeder tritt im Internet als die Person auf, die er auch real ist. Aber auch mit einer Maske zeigen wir immer unsere reale Persoenlichkeit. Und auf bestimmten Seiten ist es sogar ueblich und notwendig, mit seinem realen Namen zu erscheinen.
Das Internet ist eine reale Moeglichkeit weltweit Kontakte zu pflegen und zu kommunizieren. Und zwar je nach Lust und Laune auf verschiedenen Ebenen.
Und trotzdem werde ich jetzt gleich den Computer ausschalten und im realen Leben endlich den Koffer fertig auspacken, der schon seit Montag darauf wartet, fertig ausgepackt zu werden. Und endlich mal wieder Gitarre ueben. Und eventuell sogar mit meiner „realen“ Nachbarin eine Tasse Kaffee trinken…..
Noch bin ich mit meinen Gedanken mehr in Deutschland als in Shanghai und schlendere die Strasse nach XinQiao entlang, fast ohne auf den Verkehr zu achten. Es ist eine kleine Strasse, die aber trotzdem immerhin vier Spuren und zwei breite Fahrradwege hat. Jetzt um diese Uhrzeit ist es hier noch nicht einmal lauter als in Deutschland und auch die relativ niedrigen Haeuser in unserem Stadtteil lassen den Unterschied zu Europa geringer erscheinen als er eigentlich ist.
Ich moechte unser Datteljogurt kaufen. Dieses Jogurt gibt es nur in China und sowohl mein Mann als auch ich halten dieses Datteljogurt fuer das beste Jogurt der Welt. Der Stadtkern in XinQiao ist – trotz oder wegen seiner laendlichen Atmosphaere – angenehm chaotisch. Die breiten Gehwege werden fuer alle moeglichen Aktivitaeten benutzt. Es wird im Freien gekocht und gegessen und die Kinder erfreuen sich an Plastikungeheuern…Fuer China typisch sind die Mengen an abgestellten Fahrraedern und Motorraedern, die hier die Strassen verstopfen. ..
Der Spaziergang in meinem Stadtteil holt mich zurueck nach China. Hier bin ich eben doch zu Hause, auch wenn ich eine Auslaenderin bin und es fuer die Chinesen wahrscheinlich fuer immer bleiben werde.
Als ob mir Word beim Einleben zu Hause behilflich sein wollte, ……
Geschriebene Texte verschwinden und stattdessen werde ich aufgefordert „a new blank document“ zu benutzen…naja. Nachdem mich die Haushaelterin heute morgen um halb elf aus dem Schlaf geklingelt hat – ich hatte vergessen meinen Schluessel aus der Haustuer zu ziehen, so dass sie den ihren nicht hineinstecken konnte…-
muss ich nun registrieren, dass sich die Aussentemperatur in Shanghai seit meiner Abreise merklich veraendert hat. Es ist inzwischen unmoeglich – auch fuer mich!- mit gelber Daunenjacke zu fruehstuecken, stattdessen benutze ich Sonnenschirm und T-Shirt. Sogar mir wird jetzt die Skiunterwaesche zu warm….
und meine beiden Katzen legen sich bevorzugt in den Schatten, was schon alles sagt.
Das Schwimmbad ist frisch geputzt und die neue Badesaison eroeffnet.
Ich bin keine gute Heimkehrerin…waehrend meine Katzen sich offensichtlich unendlich freuen – meine Schneeli weicht schon seit Stunden nicht mehr von meiner Seite und spricht die ganze Zeit mit mir…..- leide ich unter Achterbahn Gefuehlen
und sollte wahrscheinlich jeden Baum und Strauch persoenlich begruessen, um wieder heimisch zu werden ….
für alle, die sich dafür interessieren: gerade verbringe ich ein paar kostbare Minuten in dem Internet Cafe der Jugendherberge Stuttgart, wo ich auf einem Computer mit deutscher Tastatur die üs und ös geniesse.
Lange bleibe ich aber nicht, denn vorausgesetzt die Lavawolke versperrt meinem Flieger nicht die Sicht, werde ich am Wochenende bereits wieder zurück nach Shanghai fliegen, um dann dort die goldene Statue für Joel zu fotographieren…
Schon jetzt kann man sich die Expo anschauen und jeder Shanghaier bekommt sogar ein Ticket zusammen mit einer U-Bahn Fahrkarte geschenkt. Immerhin gibt es mehrere neugebaute U-Bahnen, die direkt zum Expo Gelaende fahren. Und neue Expo Taxis.
Auch das Wetter macht mit. Es beginnt warm zu werden, heute gibt es blauen Himmel und Sonnenschein – wie angenehm…
Nun, ich werde die Eroeffnung der Expo verpassen, denn ich werde waehrend dieser Zeit in Deutschland sein. Eigentlich schade, denn einige Bekannte von mir sind aktiv als Taenzer an den Performances beteiligt. Muss mir das halt dann spaeter auf Video ansehen…..
Die Expo ist bei meinen chinesischen Bekannten zur Zeit das Thema Nummer eins. Viele waren schon mit ihrer Firma dort und freuen sich ueber die wunderschoene Expo. Sie beklagen sich aber auch ueber die vielen Menschen, die bereits jetzt, vor offiziellem Beginn, mehr als eine halbe Stunde Schlange stehen, um auf das Gelaende gelassen zu werden. Ein Riesenandrang! Und man soll mindestens eine Woche brauchen, um sich alles anschauen zu koennen….
auf dem Foto seht ihr den Innenraum eines kleinen Tempels in der Naehe von Wenchuan, in Sichuan
Dieses Jahr fallen die Osterfeiertage in Deutschland genau mit den Totengedenktagen in China zusammen. Heute, am Ostermontag, ist deswegen auch in China ein Feiertag. Meine Haushaelterin ist aber trotzdem gekommen – sie wird an einigen Tagen im Juni frei nehmen und will heute arbeiten – auf eigenen Wunsch. Sie hat aus einem bestimmten Gras, das hier am Strassenrand wild waechst, die passenden Totengedenkkuchen gebacken und mitgebracht. Ausserdem hat sie fuer ihre gestorbene Katze heute morgen bereits heiliges Papier verbrannt. Meine Haushaelterin liebt Tiere und sieht sie – genau wie ich – als mit dem Menschen gleichberechtigt.
Die Sonne scheint, es soll etwa 20 Grad warm werden. Ich trage trotzdem noch meine Daunenjacke, denn ich bin sehr verfroren. Aus dem Apple Computer toent Freejazz. Ich muss aufpassen, dass ich nicht den ganzen Tag im Schlafanzug (plus Daunenjacke) vertroedel.
So, nun habe ich endlich mal wieder ein neues Video gemacht, nur mit der Technik klappt es zur Zeit nicht so gut. Mein IMovie Software fabriziert in jedem Format beim Export schlechte Qualitaet. Tut mir leid. Aber der Sound ist diesmal besser, als beim Piazolla. Ich habe das Video bei Tudou hochgeladen, meiner Meinung nach die beste Adresse in China. Und ich hoffe, wenn auch die Bildqualitaet zu wuenschen uebrig laesst, dass ihr wenigstens dieses schwungvolle Stueck Musik geniessen koennt.
Im Maerz 1999, also vor elf Jahren, sind mein Mann und ich in Shanghai angekommen. Damals war ich begeistert von der Idee mich auf so ein neues, fremdes Leben einzulassen.
Vor elf Jahren konnte ich kein Wort Chinesisch und auch mein Englisch war nicht sonderlich gut entwickelt. Ich war also erstmal sprachlos. Doch das habe ich innerhalb der ersten beiden Jahre geaendert. Schon nach nicht ganz einem Jahr konnte ich den Fernseher verstehen. So schwer ist es also nicht mit den Fremdsprachen. Eine gute Erfahrung.
Allerdings habe ich in den ersten beiden Jahren auch nichts anderes geschafft, als mich so einigermassen einzuleben. Neben dem taeglichen Vokabeln lernen, war ich damit beschaeftigt, saemtliche Buslinien auszuprobieren und all die kleinen Gassen abzulaufen, die mich schon immer so reizten. So war ich staendig auf den Strassen Shanghais unterwegs, habe hunderte von Garkuechen besucht und mich auf den Maerkten im Handeln geuebt.
Das hat mich sehr veraendert. Shanghai hat mich geoeffnet.
Auch mein Koerpergefuehl konnte sich in Shanghai gut entwickeln. So hatte ich Gelegenheit mit Tanz und Ballett Training intensiv das nachzuholen, was mir davor gefehlt hat. Dass dabei meine urspruenglichen Anliegen – Musik und Gitarre – erstmal stiefmuetterlich vernachlaessigt wurden, war eine unvermeidbare Nebenwirkung. Doch inzwischen habe ich zurueckgefunden und diese Umwege haben meinem Ausdrucksvermoegen bestimmt nicht geschadet…..
Jetzt nach elf Jahren ist auch hier das Leben nicht mehr so aufregend wie es anfangs war. Wird es nun Zeit mal wieder ein neues, fremdes Land aufzusuchen? Nochmal von vorne anfangen mit Nichtsverstehen und Vokabeln lernen? Mein Mann ist muede. Wir haben vorerst keine neuen Umzugsplaene . Ich will wieder mehr Gitarre spielen und all die Erfahrungen musikalisch verarbeiten. Also wird es noch weitere Jahre in Shanghai geben…..
Von den Eltern meiner Privatschueler ueberredet, habe ich mich seit diesem Schuljahr bereit erklaert die Gitarren AG`s an der deutschen Schule zu unterrichten.
Und das ist eine sehr gute Erfahrung fuer mich. Urspruenglich dachte ich ja immer, dass es keinen Sinn macht, so grosse Gruppen von Schuelern zu unterrichten. Musikalische Faehigkeiten sind individuell sehr verschieden angelegt und in einer grossen Gruppe wird es immer Menschen geben, die sich nicht optimal entfalten koennen.
Doch meine Gruppen an der deutschen Schule entwickeln sich positiv. Die Schule gibt jeder Gruppe 90 Minuten, was ja doppelt soviel Zeit ist, wie normalerweise an einer Musikschule pro Unterrichtseinheit gegeben wird. Dadurch kann ich die Gruppengroesse ein bischen ausgleichen. Ausserdem ist das Angebot auf freiwilliger Basis, so dass sich offensichtlich nur Schueler gemeldet haben, die wirklich Interesse fuer Gitarre mitbringen. Eine gute Vorraussetzung.
Zur Zeit bereiten wir eine kleine Auffuehrung vor und ueben dafuer einen Boogie Woogie, den wir dann spaeter auch mit der Band zusammen spielen wollen. Die Kinder sind so motiviert, dass die Meisten das Stueck bereits auswendig spielen koennen. Dabei haben wir jetzt erst gerade nach dem Fruehlingsfest damit angefangen. Erstaunlich und auch fuer mich motivierend.
So fahre ich jeden Donnerstag morgen mit dem Taxi zur deutschen Schule. Zuerst gibt es dort Mittagessen in der Kantine (um 11 Uhr morgens!) und dann muss ich Pausenaufsicht machen, was weniger spannend ist. Eine Stunde lang soll ich die Kinder aus den Gaengen der Grundschule ins Freie jagen, denn die Kleinen sollen die Pause draussen verbringen, Das passt aber vielen Kindern nicht. Vorallem im Winter und wahrscheinlich auch im heissen Sommer schleichen sich viele Kinder heimlich in die Gaenge und verwirren mich mit ihren schlauen Ausreden.
In der zweiten Pause – noch mal fast eine Stunde – muss ich dann selber raus und am Rande des Fussballplatzes dafuer sorgen, dass die Schueler nicht den Rasen des Fussballplatzes betreten. Einmal haben mich ein paar Teenager gefragt, warum es verboten sei auf die Wiese zu gehen. Ich wusste es selber nicht genau. Wahrscheinlich wuerde die Wiese bei sovielen Schuelern kaputt gehen? Gestern hat ausnahmsweise mal die Sonne geschienen und ich habe nach der Pausenaufsicht einen Sonnenbrand im Gesicht gehabt.
Tja, nachdem ich mich hier mal einige Zeit etwas lyrisch zurueckgezogen verhalten habe, gibt’s heute mal ein Kontrastprogramm: Flappsigkeit ist angesagt.
Heute morgen ist meine Schwiegermutter nach Peking geflogen, mein Mann hat sie begleitet und ich werde erstmal ein bischen alleine sein, was mir noch nie geschadet hat. Noch konnte ich mein Alleine - sein nicht geniessen, denn Wochenende bedeutet bei mir Arbeit und zwar nicht alleine, sondern mit meinen Gitarrenschuelern, denen ich von „Yesterday once more“ bis Capricho arabe (Tarrega) eine Menge Dinge auf der Gitarre zeige.
Dann war ich auch noch im Training (Ballett) und danach wollte ich mir ne tolle Gesichtssalbe kaufen, was zu einer Art Test in Sachen Durchsetzungsvermoegen geworden ist. Wenn ich naemlich so eine teure gute Gesichtssalbe kaufe, erwarte ich selbstverstaendlich ein anstaendiges „Kundengeschenk“. Was waere meine gewuenschte Creme ohne die netten entsprechenden Probeflaeschen mit was-weiss-ich-fuer-Waeserchen.Diesmal hatte ich bereits brav bezahlt – auch noch mit Kreditkarte! – doch die Verkaeuferinn verweigerte mir strikt jede Art von Geschenk. „Wir haben das zur Zeit nicht mehr…“ Ich war echt sauer und bestand darauf meine Creme zurueckgeben zu duerfen, damit ich mir in einem anderen Geschaeft noch mal eine Creme mit entsprechendem Kundengeschenk holen koennte. Nun ja. Ich hatte mit Kreditkarte bezahlt und es klappte einfach nicht mit dem zurueckbuchen. Schliesslich kam der Chef des Ladens persoenlich zu mir und ueberreichte mir eine Tasche mit Kundengeschenken. Das war nu schon fast ein bischen viel des Guten, aber was solls.
Was allerdings dieses Thema jetzt genau mit der von mir gewaehlten Ueberschrift zu tun hat? Gut, vielleicht sollte ich das erklaeren. : Ein X besteht aus zwei Diagonalen…nur so ein Tipp fuer die Mathematiker….vielleicht hat es aber auch keine oder eine andere Bedeutung. Muss denn immer alles bedeutungsvoll sein? Ganz klar: Nein. Manche Dinge sind auch per se ohne immanent beabsichtigte Bedeutung und gewinnen diese erst durch die Fantasie des Betrachters…….
Vollstaendig isolieren soll man sich ja nicht, obwohl das manchmal fuer einige Zeit sehr sinnvoll sein koennte. Die Aussenwelt und die Innenwelt als staendig miteinander konkurrierende Faktoren.
Meine Aussenwelt in Shanghai ist extrem lebendig, abwechslungsreich und laut. Wie anregend ist es hier, sich im allgemeinen Getuemmel zu bewegen! Anstossen und angestossen werden, fluechtige Begegnungen, doch deswegen noch lange nicht oberflaechlich.
Die langen Wege von Ort zu Ort bieten mehr als gutes Fernsehen. Sie sind Literatur, sind Fenster .
Die Ferien sind vorbei, die mir diesmal als aeussere Veraenderung eine gelbe Daunenjacke gegeben haben. Was das bedeuten soll, weiss ich noch nicht genau, auf jedenfall ziehe ich sie jetzt immer an, obwohl die Temperaturen dafuer schon an der Obergrenze liegen. 20 Grad Celsius hatte es heute hier.
Wie bin ich nun zu diesem Gelb gekommen? Klar, durch meinen lieben Mann: „die musst Du anziehen, die ist soooo schoen!!“ sagte er und zog eben diese Daunenjacke aus einem vielfarbigen Angebot von Daunenjacken hervor. „WaaaS??!! Doch dann packte mich eine Riesenfreude und ich fuehlte wie die Farbe der Jacke in mein Herz floss. Das war vor etwa einer Woche. Seitdem trage ich taeglich diese Jacke und fuehle die Kraft , die sie mir gibt. Sie tut mir so gut. Aber sie ueberfordert mich auch. Ich kann mich ueberhaupt nicht mehr verstecken – das konnte ich ja eigentlich noch nie und schon gar nicht hier in China – aber nun ist es offensichtlich: man wird mich sehen und schaut mich an. Und das egal ob ich will oder nicht. Weglaufen aussichtslos. Ich brauche auch viel Kraft um das auszuhalten.
Vor mir strahlt ein Riesenfernseher die diesjaehrige Neujahrs Sendung aus. Sie ist bisher eher langweilig und entsprechend gehen die Familienmitglieder nebenher noch anderen Beschaeftigungen nach.
Wenn ich mich hier manchmal unwohl fuehle, dann ist es meistens wegen des allgemeinen musikalischen Geschmacks. Leider empfinde ich oft die von der chinesischen Allgemeinheit als besonders schoen gefundenen musikalischen Darbietungen als kitschige Peinlichkeiten. Aber auch die westliche Unterhaltungsmusik ist nicht viel besser. Was so in fuenf Sterne Hotels den Geschaeftsleuten als Hintergrundmusik dient, ist ja fast noch schlimmer. Urspruenglich sehr lebendige und gefuehlvolle Lieder werden in Karaoke Arrangements gepresst und so ausdrucksmaessig amputiert.
So, jetzt werde ich zum Jiaozi bauen abgerufen…
Ich habe die vegetarischen Jiaozi gemacht, meine Schwiegermutter und ihre Schwester die mit Fleisch. Mein Schwager hat den Teig bearbeitet und die Taeschchen ausgerollt. Kurz vor Mitternacht konnten dann Alle die traditionelle Silvesterspeise geniessen. Trotz einem ueppigen Abendbrot haben wir kraeftig zugelangt. Nebenbei haben wir auch seit acht Uhr Abends das Feuerwerk mit einem nicht ganz unerheblichen Beitrag unterstuetzt. Waehrend in Deutschland die meisten Racketen um etwa Mitternacht den Himmel erleuchten, ist der Hoehepunkt des chinesisch Neujahr Feuerwerks schon etwas vor Mitternacht und das Ergebniss einer mehrstuendigen, sich langsam steigernden Raketen und Kracher Flut. Was hier an Silvesterabend an Feuerwerk verpulvert wird, koennte in Deutschland fuer mindestens drei Silvester reichen. Aber es hat Spass gemacht.
Inzwischen ist es Neujahrsmorgen. Wir haben im Hotel uebernachtet, da die Wohnung meiner Schwaegerin zu klein fuer soviele Gaeste ist. Das Foto zeigt den Blick aus unserem Hotelfenster. Es hat geschneit. So gehoert es sich auch. Der Mondkalender ist was das Wetter betrifft sehr genau und jedes Jahr am Fruehlingsfest hat es nochmal kalt zu werden. So ist auch dieses Jahr die Natur den Regeln gefolgt…
Nun wird morgen Nacht ein Jahr des Tigers beginnen. Die chinesischen Maler malen tausende von Rachen aufreissenden Tigern und werden dieses Jahr damit einen Haufen Geld verdienen koennen, denn diese Tiger sind beliebt. Warum nur malen die Maler im Jahr des Hasen nicht auch so viele Hasen? Weil so ein Hasenbild nicht so gerne gekauft wird. Aber warum?
Das Fruehlingsfest naht und dieses Jahr offensichtlich bringt es den Fruehling. Heute haben wir bei einer Aussentemperatur von 19 Grad Celsius im Freien zu Mittag gegessen und dabei habe ich mir sogar einen kleinen Sonnenbrand zugelegt. Die Baeume fangen an zu bluehen. Natuerlich sind diese angenehmen Temperaturen im Februar noch nicht bestaendig, aber ich glaube, der schlimmste Teil vom Winter ist nun vorbei. Das ist gut so.
Ansonsten gibt es viel zu erzaehlen. Ich weiss gar nicht wo anfangen und muss erstmal sortieren.
Bevor ich loslege, gibt es hier zwei selbstgemachte Songs. Diese Songs behandeln das Thema Arbeitswelt und sind im Internet entstanden. Und zwar folgendermassen: Durch Xing bin ich zu einer Arbeitsgruppe zum Thema “glueckliche Arbeitswelt” eingeladen worden. Dort haben mich die Moderatoren gebeten fuer die Gruppe einen Song zu machen. Eine der Moderatorinnen hatte bereits einen Text, den ich vertonen sollte. Irgendwie fand ich den Text sehr idealistisch, deswegen habe ich ihn veraendert und eine Gegenversion dazugemacht. Nun hatten wir zwei Texte. Einige Leute fanden meinen Text zu traurig und den urspruenglichen Text besser. Also habe ich beide Texte vertont. Song Nummer Eins mit dem Text von Leila Memet-Serbest koennt Ihr hier hoeren. Song Nummer zwei mit meinem Text hier.
Mir hat diese Zusammenarbeit im Internet mit Leuten, die ich noch nie live gesehen habe, gut gefallen. Es hat mich sehr motiviert und ich sehe da ungeahnte Moeglichkeiten fuer die Zukunft. Durch dieses Internet bekommen Entfernungen eine andere Dimension. Mit Networking und Skype kann man ja eigentlich ueberall leben und zusammenarbeiten….
Ist doch auch etwas besonderes. Und bei jedem Menschen wieder anders strukturiert. Bei mir zeichnet sich der Alltag vor allem durch das regelmaessige Gitarre spielen und das Ballett Training aus. Und die Arbeit mit meinen Gitarrenschuelern….
Zu meinem Alltag gehoeren die beiden Katzen, die auf mich und das Essen, das ich ihnen gebe, warten und meine Haushaelterin, die irgendwann nach dem Fruehstueck mit dem frischen Gemuese vom Markt zur Tuer hereinkommt – meistens von mir erst bemerkt, wenn sie anfaengt das Fruehstuecksgeschirr abzuwaschen oder die Treppe zu kehren.
Und im Winter gehoeren auch kalte Fuesse , steife Finger und andere Ungemuetlichkeiten dazu, vor allem wenn ich in dem Klassenzimmer an der Gumei Road oder in der Musikschule in XinQiao unterrichte.
Achja, die fast taeglichen Fahrten spaet Abends in oeffentlichen Bussen und die Streitereien mit den Busfahreren, wenn sie nicht bereit sind mich dort aussteigen zu lassen wo ich will, sondern mich zwingen bis zur Bushaltestelle mitzufahren. Und dann die vielen Leute, die mich fuer mein gutes Chinesisch loben und mir damit aber staendig zeigen, dass ich fuer sie eine Auslaenderin bin. Lauter so Sachen….
Was mir besonders gut an meinem Alltag gefaellt, ist das Fruehstuck. Ich mache mir immer zwei grosse Tassen frisch gemahlenen Kaffee. Die erste Tasse Kaffee trinke ich unten am Esstisch, doch die zweite Portion bringe ich nach oben an meinen Computer, wo ich dann im Schlafanzug mit Bademantel im Internet surfe bis der Kaffee entweder fertig getrunken oder kalt geworden ist. Dann erst dusche ich. Tja. Das sind schon so ein paar nicht ganz unwesentliche Details. Morgen, am Sonntag reicht die Zeit nicht fuer meine Art zu fruehstuecken, denn da muss ich schon um neun Uhr in der Musikschule sein.
Natuerlich wuerde mich interessieren, wie Euer Alltag so gestaltet ist. Wer hat Lust was zu schreiben?
Die hier Schreibende Dame nennt sich Dievommond. Dievommond liebt es die Ereignisse so zu sehen wie sie sind, auch wenn das manchmal zu scheinbar widerspruechlichen Aussagen fuehrt.
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