Freitag, Juni 19, 2009

„unglueckliche Kindheit“(?) und Klassentreffen....

Erstaunlich, was so ein bevorstehendes Klassentreffen alles an Assoziationen ausloesen kann. Dabei sind meine ehemaligen Klassenkameraden nun wirklich ueberhaupt nicht dafuer verantwortlich, dass ich mich als Kind und Schuelerin nicht sonderlich wohl gefuehlt habe. Im Gegenteil: die meisten waren sogar sehr nett.

Nee, ich wuerde sie wirklich gerne wieder sehen. Immerhin haben wir ja wichtige Jahre zusammen verbracht und sind sogar zusammen nach Griechenland gefahren.....

Warum ich mich damals nicht sonderlich wohl gefuehlt habe und warum ich den Ort meiner Kindheit so selten wie moeglich und immer mit deprimierten Gefuehlen besuche, hat viele Ursachen, aber ganz sicher liegt es nicht an meinen Schulkameraden.

Und ich musste soweit weg gehen. Es konnte gar nicht weit genug sein. Eine andere Stadt in Deutschland haette mir nicht genug Entlastung gebracht. Je weiter weg, desto besser.

Und mein Verdacht: ich war an meiner Schule und in meiner Klasse wahrscheinlich nicht die Einzige, die ungluecklich war und weg wollte.....

Labels: , , ,

Donnerstag, Juni 18, 2009

Klassentreffen

Eine meiner ehemaligen Schulklassen wird dieses Jahr ein Klassentreffen veranstalten. Und natuerlich waere ich gerne mit dabei. Denn ich finde es sehr spannend zu sehen, was aus meinen ehemaligen Klassenkameraden so geworden ist. An die Meisten kann ich mich kaum noch erinnern und wahrscheinlich wuerde ich auf so einem Treffen viele nicht mehr wieder erkennen. Aber das ist nichts Schlechtes. Denn das heisst ja nur, dass wir uns alle weiterentwickelt haben.

Ich finde Entwicklung und Veraenderung auf jedenfall interessant und bin etwas verschaemt, weil ich vermute, dass ich mich wahrscheinlich am wenigsten veraendert habe. Nicht nur optisch bin ich fast gleich geblieben – bis auf ein paar Falten – sondern auch beruflich hat sich bei mir nicht viel getan. Schon als Jugendliche habe ich mich ausschliesslich fuer Theater und Musik interessiert und auch jetzt noch beschaeftige ich mich hauptsaechlich mit Theater und Musik und das noch nichteinmal sonderlich erfolgreich.....

Einige meiner Klassenkameraden dagegen kann man als Berichterstatter im Fernsehen hoeren oder als Opernsaenger bewundern. Es gibt Wissenschaftler, Doktoren, Professoren und auch mehrfache Muetter und sogar Hotelbesitzer.

Nur was den Ortswechsel betrifft, scheine ich mich von meinem Ursprung am weitesten entfernt zu haben. Waehrend offensichtlich die meisten meiner ehemaligen Mitschueler im Landkreis oder zumindest im Land geblieben sind, muss ich aus China mit dem Flugzeug anreisen – falls ich ueberhaupt kommen kann, was noch gar nicht sicher ist.

Manchmal ist es nicht so einfach fuer mich, mit meiner Entfernung klar zu kommen. Irgendwie bin ich ja nicht nur koerperlich entfernt, sondern auch geistig und so ein Wiedersehen mit Menschen aus einem laengst vergangenen Lebensabschnitt benoetigt Mut.

Labels: , ,

Mittwoch, Mai 13, 2009

In China denkt man an das Erdbeben

Schon seit dem Wochenende kann man im Fernsehen und Radio nahezu pausenlos Gedenkveranstaltungen und Sendungen zu der Erdbebenkatastrophe, die am 12ten Mai vor einem Jahr in Sichuan passiert ist und besonders die Orte Wenchuan und Beichuan zerstoert hat, anhoeren. Unzaehlige Menschen werden interviewt und ihre besonderen Leistungen und Leiden in dieser Extrem - Situation vorgestellt. Es gibt Helden, die all ihre Kraefte und Moeglichkeiten eingesetzt haben, um anderen Menschen das Leben zu retten. Es gibt sogar erstaunlich viele solcher bewunderungswuerdigen Menschen in China. Und darauf ist man auch stolz.

Der Wiederaufbau laeuft trotz Wirtschaftskrise auf Hochtouren und die neuen Schulen sollen hohen Sicherheits Standards entsprechen. Tatsaechlich waren die meisten, der beim Erdbeben eingestuerzten Schulen noch vor 1988 errichtet worden. Damals gab es noch keine Normen zur Erdbebensicherheit, wie Ihr auch auf deutsch hier lesen koennt.

Erstaunlich finde ich die in China offensichtlich verbreitete Auffassung, dass Lehrer mit den vom Erdbeben traumatisierten Schuelern moeglichst wenig ueber diese Ereignisse sprechen sollten. „Kinder vergessen schnell und es wuerde sie nur unnoetig verstoeren, wenn wir dieses Thema ansprechen“ sagte ein Lehrer in einem Interview mit der Shanghai Daily. So versuchen die Lehrer zwar einfuehlsam und liebevoll mit den Kindern umzugehen, aber den "Blick nach vorne"zu richten. Ich denke, da unterscheidet sich die chinesische Weltanschauung von der westlichen Weltanschauung. Wir halten es fuer dringend notwendig die traumatisierenden Erlebnisse erstmal zu verarbeiten und zwar ohne "schoen zu reden" in ihrer Traurigkeit zu akzeptieren, bevor wir uns Neuem zuwenden koennen. In China versucht man so schnell wie moeglich zurueck zu einem einigermassen normalen Leben zu kommen. Die Zeit zur Trauer ist sehr kurz. Es wuerde ja wahrscheinlich die Kinder auch ueberfordern all den Kummer und Schrecken wirklich „aufzuarbeiten“. Da ist das Nicht-daran-denken wahrscheinlich doch der erfolgreichere Weg aus dem Chaos. Und ausserdem wird ja trotzdem daran gedacht. Aber eben mit dem „positiven Blick nach vorne“.

Labels: , , , , , , ,

Mittwoch, Mai 06, 2009

Der Todestag

Heute vor dreissig Jahren, an einem sechsten Mai, der genauso sonnig war wie es hier der sechste Mai heute ist, hat sich meine Mitschuelerin „Muz“ umgebracht. Der Tag war gleichzeitig auch ihr Geburtstag. Obwohl ich drei Jahre juenger war als sie und Muz gar nicht so genau kannte, hat mich ihr Selbstmord tief betruebt und verwirrt.
Ich mochte Muz sehr. Sie war auch in der Theatergruppe unserer Schule – wie ich – und hat unter anderem im „guten Mensch von Sezuan“ (Bertold Brecht) den guten Menschen von Sezuan sehr ueberzeugend gespielt. Wir haben sie alle deswegen bewundert. Wir waren auch beide in der „Teestube“ und haben dort viel Zeit mit dem Lesen von sozialistischer und anarchistischer Literatur verbracht. Sie hat mir immer wieder gute Buecher empfohlen. Gegen Ende ihres Lebens sah man sie aber nur noch selten und immer schwarz gekleidet in der Teestube sitzen.

Ihr Selbstmord war erst beim zweiten Versuch erfolgreich. Vom ersten Versuch weiss ich nicht viel, beim zweiten soll sie ihrer Familie gesagt haben, dass sie eine kleine Reise mache. Sie ist aber nur in den Heizungskeller gegangen um dort ungestoert sterben zu koennen. Natuerlich haben sich dann danach alle gefragt wie so etwas passieren konnte und vorallem: warum Muz so gerne sterben wollte. Ich weiss es bis heute nicht.

An dem Ort, wo ich gross geworden bin, gab es viele Selbstmorde. Sogar die Mutter einer Klassenkameradin hat sich umgebracht und auch der Vater eines Mitschuelers. Muzis Selbstmord hatte einige Nachahmer an unserer Schule – doch wurden diese, soviel ich weiss alle gerettet. Was war nun an diesem Ort so selbstmordgefaehrdent und deprimierend? Es handelte sich hier nicht um ein durch Arbeitslosigkeit und Armut ins Abseits manoevriertes soziales Getto, sondern im Gegenteil: der Ort, an dem diese Selbstmorde passierten, war ein Prominenten Viertel im Sueden von Muenchen. Viele Menschen lebten nicht nur in einer grossen Villa mit Garten, sondern hatten auch noch einen privaten Schwimmingpool und/oder eine Segeljacht am Starnberger See. In dieser Gegend fehlte es den Menschen nicht an materiellen Guetern. Und die Selbstmoerder, die ich kenne, gehoerten alle zu den reichen Leuten und nicht zu den wenigen etwas aermeren Ausnahmen.

Auch in China gibt es Selbstmorde, aber ich glaube, prozentual weniger als in Deutschland. Trotzdem werden hier in den Apotheken staerkere Schlafmittel nur mit aerztlichem Rezept verkauft. Hotelfenster, die hoeher als im vierten Stock liegen koennen nur noch einen winzigen Spalt oder gar nicht mehr geoeffnet werden. Die Gleise in den U-Bahn Stationen werden jetzt fast alle mit Plexiglas Waenden und Schiebetueren abgesichert, so dass niemand mehr auf die Gleise springen kann. Und Waffen zu haben ist grundsaetzlich verboten.

Ich weiss gar nicht, was in Deutschland unternommen wird, um einen Selbstmord zu verhindern. Oder findet Ihr etwa, dass man das nicht verhindern sollte? Ich denke manchmal, dass gerade diese Muz eventuell noch ein glueckliches Leben haette leben koennen, wenn man ihr zur richtigen Zeit geholfen haette.

Labels: , , , , , , ,

Dienstag, April 21, 2009

Essen, was auf den Tisch kommt: Vergewaltigung? Ein Artikel im Blog "Wortgefecht"

Gerade habe ich bei Joel in seinem Blog Wortgefechtt geschmoekert und bin auf einen Eintrag ueber Kindheitserinnerungen beim Essen gestossen. Wer kennt das nicht: man ist Kind und sitzt am Tisch, vor sich einen Teller mit vollkommen ungeniessbarem, verabscheuungswuerdigem Essen, neben einem ein Erwachsener, der einen dazu zwingt diesen ekelhaften Frass hinunterzuwuergen?

Ich wuerde diese Erziehungsmassnahme als Vergewaltigung bezeichnen und ich bin sicher, dass solche Erlebnisse sehr negative Folgen fuer die Kinder haben koennen. Zum Beispiel verlieren sie ihr Gefuehl fuer sich selbst und verlernen, sich auf ihr eigenes Urteilsvermoegen zu verlassen.

Umgekehrt trifft man aber heute auch oft auf junge Menschen, die jede zweite Speise nicht essen wollen. Das ist dann die Folge des umgekehrten Extrems. Und auch nicht gut.

Ich selber bin von meinen Eltern oft zu Dingen gezwungen worden, die ich urspruenglich nicht wollte. (Zum Beispiel: Rhabarberkompott, Holunderbeerensaft, Bergsteigen.....). Aber sie haben mich meistens mit Argumenten ueberzeugt und solange manipuliert bis ich mehr oder weniger "freiwillig" gegessen bezw. getan habe, was sie wollten. Auch habe ich nie vergessen, was ich eigentlich urspruenglich wollte bezw. nicht wollte. Ich musste es auch nicht vergessen, denn meine Eltern haben mich immer wieder daran erinnert. Trotzdem habe ich mich oft manipuliert bzw. gezwungen gefuehlt. Und Rhabarberkompott bzw. Holunderbeerensaft mag ich bis heute nicht. Bergsteigen aber sehr. Geht es denn auch ohne diese "Vergewaltigungen" in der Kindererziehung? Was sind die Folgen, wenn man seine Kinder gar nicht zwingt? Gut, dass ich keine Kinder habe! Ich wuesste ueberhaupt nicht, wie ich sie erziehen sollte.

Wie war das bei Euch?

Labels: , , , , , , , ,

Freitag, April 03, 2009

Wieviel Koerperkontakt und Disziplin brauchen Kinder und Menschen? (dritter Versuch)

Nach einiger Ueberlegung habe ich mich jetzt doch entschlossen meinen Artikel zu veroeffentlichen. Ich freue mich ueber ernstgemeinte Kommentare und eine anregende Diskussion. Und nun werde ich ihn auch noch ein bischen veraendern....

Als Ballett Studentin in China habe ich voller Erstaunen festgestellt, dass ich mit den chinesischen Lehrern trotz der teilweise etwas altmodischen Paedagogik ganz gut klar komme. (Aber da ich nie in Deutschland Ballett gemacht habe, kann ich nicht beurteilen ob der Ballett Unterricht in Deutschland eventuell besser waere?)

Was mir im Ballett Unterricht bei den chinesischen Lehrern auffaellt, ist die Tatsache, dass sie uns oft anfassen, um uns zu korrigieren und obwohl sie uns auch teilweise anschreien und sogar manchmal schlagen, also eigentlich nach europaeischen Gesichtspunkten einen "schlechten Unterricht"machen ist der Unterricht nicht so schlecht wie man auf Anhieb denken koennte und ich frage mich, warum. Liegt es daran, dass Ballett sowieso Freude macht oder ist es, weil die Lehrer eben doch sehr gut sind - trotz ihrer altmodischen Art?

Nun bin ich kein Kind mehr, sondern selber eine Lehrerin (Gitarrenlehrerin) und es bleibt nicht aus, dass ich mir eine Menge Gedanken zum Thema Paedagogik mache. (nee, aber ich wuerde niemals irgendjemanden ernsthaft schlagen und das tun die chinesischen Lehrer ja normalerweise auch nicht.)

Nicht alle Trainer sind gleich, manche etwas strenger, manche schon fast so sanft wie europaeische Lehrer. Witzigerweise ist der strengste Trainer hier auch der beliebteste Lehrer. Seine Klassen sind immer voll.

Trotz seiner lauten Stimme und seiner lockeren Haende versucht er uns doch mit sehr viel Energieaufwand zu trainieren, so dass man eigentlich „danke“ sagen moechte. Schliesslich sind wir hochmotiviert und gerne bereit, unser Bestes zu geben.

Gestern habe ich mich mit einer amerikanischen Mitstudentin unterhalten, die mir erzaehlt hat, dass ein solcher Unterricht in Amerika nicht erlaubt waere. Sie hat sich dabei erstaunlicherweise nicht auf die Schlaege bezogen, sondern auf die Tatsache, dass die Trainer (alle Trainer und Trainerinnen) uns hier staendig mit den Haenden anfassen, um die richtige Muskelanspannung zu kontrollieren. Dabei kann man gerade durch das Angefasst – Werden viel schneller sein Koerpergefuehl verbessern, als wenn man alles selber ausprobieren muesste! Gluecklicherweise sind die Chinesen so frei, dass sie nicht wie die Amerikaner jede Art von Beruehrung gleich als sexuelle Anmache auffassen.

Obwohl die Chinesen als konservativ gelten, sind sie relativ unbefangen, wenn es darum geht, Koerperkontakt mit anderen Menschen herzustellen. Egal ob beim Kleideranprobieren in einem Kaufhaus oder beim Friseur oder eben wie erwaehnt im Unterricht, ist hier das Anfassen eines anderen Menschen durchaus ueblich. Mir kommt das sehr entgegen. Ich habe als Kind mir immer gewuenscht mehr angefasst zu werden (aber nicht geschlagen zu werden:-)) und ausserdem wollte ich auch immer sehr gerne meine Mitschueler und die Lehrer anfassen, bin dafuer aber meistens bestraft worden. In China waere ich als Kind mit Garantie viel gluecklicher gewesen!
(nee, nicht unbedingt....)

Der Punkt ist eigentlich, dass es eben nicht auf das paedagogische System ankommt, sondern auf die einzelnen Lehrerpersoenlichkeiten. Gute Lehrer gibt es in jedem System und schlechte auch. Und es kommt auch darauf an, ob einem ein Fach gefaellt oder nicht: Ballett macht eben einfach immer Spass.

Labels: , , , , , ,

Montag, Februar 09, 2009

Frustgedanken


Auch ich habe sie manchmal: diese Frustgedanken.
Meine Frustgedanken verfluechtigen sich allerdings schnell, wenn ich sie zu fassen suche. Heute Nacht habe ich getraeumt, dass ein von mir eigentlich sehr gemochter Hund ploetzlich riesengross geworden ist und dass ich ihm auch nicht in Shanghai, sondern im Haus meiner Kindheit begegnet bin. Niemand ausser mir hat gemerkt wie gross dieser Hund ploetzlich geworden ist. Da war ich sehr verunsichert und irritiert. Genau dieses Gefuehl ist es, dass mich heute zu diesem kleinen Aufsatz verleitet, auch wenn ich eigentlich nicht – oder nicht nur – ueber vergroesserte Hunde schreiben moechte....Andere Menschen empfinden vielleicht andere Dinge frustrierend als ich. Mich frustriert es, dass ich oft als Einzige eine Sache sehe und erkenne. Niemand nimmt mich in solchen Situationen ernst . Doch spaeter, wenn sich dann so nach und nach herausstellt, dass ich Recht hatte, werden meine Ansichten von allen moeglichen Leuten uebernommen und keiner erinnert sich mehr daran, dass ich es war, die schon frueh auf entsprechende Dinge hingewiesen hat. So passiert das immer wieder. Eigentlich sollte ich mich darueber freuen, anstatt zu klagen. Aber ich beklage mich doch ein bischen.
In dieselbe Schublade gehoert fuer mich auch die Tatsache, dass mein Gitarrenvideo (die LB Story) nur von wenigen Menschen erkannt worden ist. Die meisten Menschen haben eben selber kein eigenes Urteilsvermoegen und muessen erst gesagt bekommen was gut ist, bevor sie sich trauen, selber besser hinzuhoeren. Nun fuer alle, die es noch nicht wissen: Die LB Story ist ein sehr schoenes Stueck Musik, auch wenn es bisher nicht oft gespielt wurde. Ausserdem biete ich in meinem Video eine „excellente Interpretation“ , wie mir der Komponist selber freundlicherweise gesagt hat.

Aber was solls.

Heute habe ich hiermit meinen 210ten (zweihundertzehnten) Post geschrieben. Haette ich das frueher gemerkt, waere der Titel anders gewaehlt. Nein, ich bin normalerweise nicht frustriert, sondern freue mich darueber, dass ich immer wieder Zeit finde mich hier zu aeussern.

Labels: , , , , ,

Donnerstag, November 06, 2008

Die Ballettlehrerin Xiao Gao



Eine meiner wichtigsten Ballett Lehrerinnen ist Xiao Gao. Sie unterrichtet uns sehr engagiert und gibt die Hoffnung nicht auf, auch wenn es ja schon auf Grund des Alters eigentlich unmoeglich ist, dass z.B. Leute wie ich jemals den hohen Anforderungen von Frau Gao genuegen koennen.

Xiao Gao ist nicht etwa – wie es zu erwarten waere – fruehzeitig von ihren Eltern zum Ballett Unterricht geschickt worden, sondern hat selber erst mit elf Jahren durch eine Fernsehsendung ueber Ballett ihre Lust zum Tanzen erfahren. Sie war so begeistert, dass ihre Eltern sie schliesslich auf einer oertlichen Kunstschule angemeldet haben. Doch Xiao Gao kommt aus Chongqing in Sizhuan und dort gab es zu dieser Zeit noch kaum Ballett Unterricht. Deswegen lernte sie zuerst chinesischen Volkstanz. Sie war sehr eifrig und schaffte schon nach einem Jahr die Aufnahmepruefung auf die Ballettschule in Peking. Doch Peking ist weit weg von Sizhuan und Xiao Gao`s Eltern sind normale Arbeiter. Ihr Vater brachte sie nach Peking und musste dann nach einer Woche zurueck nach Sizhuan. Seine Tochter blieb alleine auf der Schule in der fremden Stadt.

Xiao Gao litt furchtbar unter Heimweh, hat einen Monat lang fast pausenlos geweint und im zweiten Monat weinte sie auch noch viel, so dass ihre Mitschueler sie als “Wecker” bezeichneten, da sie nachts immer im Schlafsaal mit ihrem Weinen die anderen Schueler aufgeweckt hat. Im dritten Monat gab es dann die in China an Schulen und Universitaeten obligatorische Gesundheitsuntersuchung und weil Xiao Gao vom vielen Weinen, dem fremden Essen und dem fuer sie ungewoehnlichen Wetter geschwaecht war, hat man sie mit Verdacht auf Hepatitis im Krankenhaus isoliert. Grundlos wie die Aerzte leider erst nach zwei Monaten merkten. Als Xiao Gao endlich wieder zur Schule durfte, waren ihre Klassenkameraden bereits weit fortgeschritten und hatten viel gelernt. Sie musste nun den verpassten Stoff nachholen. Zudem war sie im Krankenhaus dick geworden und die Lehrer verpassten ihr deswegen eine schreckliche Abmagerungskur. Die Ausbildung zur Taenzerin dauert in China sieben Jahre. Obwohl sie sich zweimal am Fuss und einmal an der Wirbelsaeule verletzte, schaffte sie puenktlich ihre Abschlusspruefung und wurde gleich als Ballett Taenzerin im Shanghaier Ballett aufgenommen. Mit dem Shanghaier Ballett ging sie eine zeitlang auf Tournee bis es dann direkt zu dem Zeitpunkt, als man sie fuer eine Hauptrolle vorgeschlagen hatte, leider wieder eine Verletzung gab. Zwei Sehnen im rechten Fuss waren gerissen und mussten – ohne operiert zu werden! – langsam zusammenwachsen. Waehrend dieser Zeit ging der alte Ballettmeister Ling Yangyang in Rente und die neue Ballettmeisterin Xing Lili mochte Xiao Gao nicht besonders. Wer aber Karriere machen will, braucht vorallem auch Gelegenheit seine Faehigkeiten zeigen zu koennen. Ling Yangyang mochte Xiao Gao und hat sie immer vorne und als Leader tanzen lassen, waehrend die neue Ballettmeisterin andere Taenzerinnen bevorzugte. Die unglaublichen Schmerzen bei dem Neueinstieg nach der Verletzung kombiniert mit der unfreundlichen neuen Ballettmeisterin haben bewirkt, dass Xiao Gao keine Freude mehr bei der Arbeit spuerte. Deswegen hat sie eines Tages um ihre Entlassung gebeten. Inzwischen ist sie eine ausgezeichnete, sehr beliebte, charismatische Lehrerin und eine moderne, weltoffene, junge Frau. Sie ist ein Mensch, der den Mut hat, auf ihre eigenen Gefuehle zu hoeren.
Weil Xiao Gao das Shanghaier Ballett vorzeitig verlassen hat, bekommt sie keine Rente und ist ueberhaupt nicht sozial abgesichert. Auch die Arbeit an der Ballett Schule ist ohne soziale Absicherung.

Labels: , , , ,

Mittwoch, April 23, 2008

Vergangenheit


Zum Thema Geschichte und Gegenwart faellt mir ein, dass auch ich in naher Zukunft (verglichen mit der jahrtausenden alten Geschichte) der Vergangenheit angehoeren werde.

Was auch noch ziemlich sicher ist: all die U-Bahn Schaechte in Shanghai und die vielen Hochhaeuser werden hoechstwahrscheinlich in ein paar hundert Jahren verschwunden sein. Doch was gibt es dann stattdessen? Eine interessante Frage.: wie werden all diese Tunnel und Hochhaeuser verschwinden und wann? Passiert es vor oder nach meiner Zeit? Gut, dass ich keine Kinder habe. So muss ich mir keine Sorgen um die Zukunft meiner Kinder machen. Es wuerde mir die letzten Nerven rauben. Ohne Kinder kann man derartigen Veraenderungen relativ gelassen entgegenschauen. Die Frage reduziert sich dann auf: Wer oder was verschwindet zuerst: ich oder die Hochhaeuser?

Wie dem auch sei: allmaehlich fange ich an zu glauben, dass die meisten Menschen am Anfang unglueckliche Kinder waren. Die sogenannte “glueckliche Kindheit” bleibt nur wenigen auserwaehlten Spezialmenschen vorbehalten. In China sind die Kinder auch nicht gluecklicher als bei uns. Zumindest, wenn sie Kinder reicher Eltern sind. Ein Beispiel: der einjaehrige Sohn meiner sehr netten Nachbarn wurde vorallem von seiner Amme gepflegt. Doch nach einem Jahr entliessen die Eltern diese Amme. Kurz darauf beschloss dann auch noch seine Mutter alleine fuer mehrere Monate ins Ausland zu gehen und das Kind der Grossmutter zu ueberlassen. Der kleine Bub reagiert mit tiefer Trauer. Wenn man in sein Gesicht sieht, moechte man am liebsten weinen. Da gibt es (zumindest zur Zeit) keine Freude mehr. Der Sohn meiner Nachbarn ist kein Einzelfall. Die meisten wohlhabenden Kinder werden hier von Haushaelterinnen und Ammen grossgezogen. Leider gibt es viele Eltern, die oft diese Haushaelterinnen wechseln, was dann fuer die Kinder eine Katastrophe bedeuten kann. Die weniger wohlhabenden Kinder wachsen meistens bei den Grosseltern auf, was ja zumindest den Vorteil hat, dass Grosseltern nicht so einfach ausgetauscht werden koennen.

Labels: , , , ,